Sigmar Polke-Retrospektive in Köln
Von Michael Köhler·11.03.2015
Der Künstler Sigmar Polke hatte eine Antenne für Übernatürliches, nur war er kein Esoteriker, sondern ein Spaß-Partisan. Nach Stationen in New York und London ist seine erste posthume Retrospektive nun im Museum Ludwig in Köln zu sehen.
Nichts war vor ihm sicher, zu Kunst zu werden. Er machte einen Bundesadler aus Kakteen-Köpfen oder ließ Farbe, die zu kochen schien, über Leinwände oder Tischtücher laufen und filmte das dann. Polke war im besten Sinne "verstrahlt". Seine späten "Linsen"- Bilder heißen denn auch "Strahlen sehen" (2007). Er machte das Sehen sichtbar. Polke hatte eine Antenne für Übernatürliches, nur war er kein Esoteriker, sondern ein Spaß-Partisan. Er gehörte keiner Schule und keinem Genre an. Er war im besten Sinne unordentlich, unaufgeräumt. So gesehen ist die erste postume Retrospektive sehr ordentlich und aufgeräumt. Barbara Engelbach hat alles chronologisch, der Reihe nach aufgebaut.
"Wir sehen drei Socken, drei Hemden, wir sehen Schokolade und drei Kekse. Mit anderen Worten, wir sehen eigentlich die Warenwelt der Nachkriegszeit."
Es fängt mit Pop-Art Einflüssen zu Beginn der 60er-Jahre an. Doch den Socken fehlt das Gummiband. Die Hemden haben keine Markennamen, die Schokolade wirkt wie ein abstraktes Gemälde. Polke ist gerade 22 Jahre alt. Rasch beginnt danach das, wofür der Künstler bekannt wird, die Rasterbilder mit dem Moiré-Effekt. Gesichter, Personen, Gegenstände werden in Punkte aufgelöst. Er stellt sie mit einem Epidiaskop her, wirft Bilder an die Wand, malt sie von Hand ab.
"Der Polke sitzt da mit einem spitzen Pinsel und malt sorgfältig Punkt für Punkt aus."
Die Punkte sind mal scharf umrissen, mal verschwommen, mal wird aus ihnen ein Fleck oder Schatten. Später ändert sich der Malgrund. Tapeten, Stoffe, Gardinen, Tischdecken, Dekorationsmaterialien dienen als Bildträger. "Dinge sehen wie sie sind" steht einmal spiegelverkehrt drauf.
Polke machte selbst mit der deutschen Geschichte noch seine Witze
Zeitlebens hat sich Polke für Abbildungsgeräte und -techniken interessiert: Kupferstich und Fernrohr, Fotografie und Film, Zeitung und Fotokopierer. Überhaupt legt diese Retrospektive großen Wert auf sämtliche Medien. Viele Filme sind zu sehen, die Polke gedreht hat und Fotografien, die überarbeitet und doppelt belichtet wurden. Polke bei den Gurus und den Aborigines. Drogen hier, mystische Erzählungen von australischen Höhlen dort.
Diese Aufnahme stammt aus der Tate Modern in London, in der die Polke-Ausstellung zuvor zu sehen war.© picture-alliance / dpa / Andy Rain
Immer wieder aber auch deutsche Geschichte. Schematische Hakenkreuze tauchen in seinen Bildern auf oder ein Hochsitz, der sofort an Lager- und Wachtürme erinnert.
"Sie finden hier so richtig Kunst, die gesättigt ist mit Zeitgeschichte. Also für mich war das eigentlich das überraschendste Erlebnis, dass wir hier noch mal die ganze Geschichte der BRD aufgefaltet sehen."
Einige winzige Täfelchen aus unbehandeltem Verpackungskarton hängen in dem Werk "Pappologie" an der Wand. Sie sind der Größe nach sortiert. Daneben eine Bleistiftzeichnung, eine Art Stammbaum mit den Worten "Erblasser" und "Rasse". Titel und Werk spielen auf die pseudowissenschaftliche Vererbungslehre der Nazis an, auf "unreine Erblinien" und auch das Fortleben braunen Gedankenguts in der frühen Bundesrepublik. Es ist eben nicht alles aus Pappe, was "Pappa Polke" so erzählt. Er machte selbst mit der deutschen Geschichte noch seine Witze.
Er verwischte Bilder und die Rolle des Künstlers. Er gab nie Interviews und wenn er was sagte, stellte er die Sprache als Medium der Unschärfe dar. Über seine Werkstoffe sagt er mal.
"Das ist ein Mittel mit dem man sehr transparent arbeiten kann, das auch reflektiert und zurückwirft, wo man sich spiegeln kann, es ist mehr ein Mittel in vielfältiger Hinsicht wo das Äußere mit einbezogen wird, in das Innere, was man als Inneres, als Bild jetzt meinen könnte. Und in der Zufälligkeit und der Beliebigkeit sah ich ein ähnliches Prinzip, wie man Bilder herstellen kann."
Ein Stück enthemmtes karnevalistisches Treiben
Natürlich steckt in ihm auch ein großer Schalk. So wie der gebürtige Mecklenburger Uecker im Rheinland auftaute und heimisch wurde, wurde es auch der Schlesier Polke. Ein Stück enthemmtes karnevalistisches Treiben, ein Stück zügelloser rheinischer Kunstsinn steckt auch darin. Polke war ein Narr und er narrte den Kunstbetrieb. Einmal schreibt er unter ein Bild: "Moderne Kunst" und variiert darin das Repertoire von Konstruktivismus und Action Painting.
Polkes "Schimpftuch" im Museum of Modern Art in New York© picture alliance / dpa / Justin Lane
Und dann zur documenta macht er plötzlich ganz abstrakte Bilder in Lavendelfarbe aus Harz und Pigment.
"Das war schon eine große Überraschung für die Besucher, die Polke kannten, denn erstmals tritt er hier wirklich als ein abstrakter Maler auf."
Sigmar Polke behandelt deutsche Themen auf eine undeutsche Art und Weise. Keine großen Gesten. So zeigt er sich auch in Filmen, in einer Art von kindlichem Ungehorsam gegenüber den Erwartungen an den Künstler und mit einer ungeheuren Lust am Material.
"Diese Art mit dem roten Boxer T- Shirt und dem Kindereimerchen und den blöden Wuschelhaaren, die er noch auf dem Kopf hat, und dann steht er da und hält den Pinsel in die Luft wie das Denkmal des unbekannten Künstlers, dann denkt man sofort an Baselitz und Lüpertz, die viel Aufwand betrieben haben sich selbst zu inszenieren in der Öffentlichkeit. Und hier ist eben ein Künstler, der es offensichtlich nicht macht. Mehr noch, der das auch konterkariert, ironisch unterläuft, in der Form wie er sich selbst darstellt."
Barbara Engelbach ist eine großartige Retrospektive gelungen. Nach New York und London ist sie jetzt am langjährigen Wohnort von Polke in Köln angekommen. Man kann die Schau heute schon historisch nennen. Zwischen Karneval und Ostern kommt sie genau richtig. Das gibt´s so schnell nicht wieder.