Die Komödie „No Hard Feelings“ macht Jennifer Lawrence zur Verführerin mit geballter Faust. Sie balanciert zwischen Genderklischee und modernem Blick.
Mühsamer Aufstieg zum Ziel: Maddie (Jennifer Lawrence) in „No Hard Feelings“ Foto: Sony Pictures Germany
Bei Hall & Oates klang es damals, 1982, wie eine Mischung aus Bewunderung und Muffe: „Oh here she comes / Watch out boy she’ll chew you up / Oh here she comes / She’s a maneater“. „Maneater“, den größten Hit des beeindruckend geföhnten Duos aus Philadelphia, könnte man als Popsong gewordene Angst vor der „Vagina dentata“ deuten, einem Begriff aus Sigmund Freuds (vermutlich aus demselben Sentiment entwickelter) Theorie zur angeblichen männlichen Kastrationsfurcht. Für die feministische Kulturhistorikerin Camille Paglia ist die „bezahnte Vagina“ ein „Sinnbild weiblicher Macht und männlicher Angst“.
„No Hard Feelings“. Regie: Gene Stupnitzky. Mit Jennifer Lawrence, Andrew Barth Feldman u. a. USA 2023, 103 Min.
Eventuell ist Maddie genauso ein „Maneater“, eine Femme fatale im Hall-&-Oats’schen Sinne, aber braungebrannt, mit Shorts und Spaghettitop: Die 32-Jährige gehört zu den wenigen ständigen Einwohner:innen des schnieken Ortes Montauk an der Ostspitze Long Islands, eines Lieblingsreise- und Sehnsuchtsort wohlhabender, weißer Amerikaner:innen. Während diese dort die heißen Monate in piekfeinen Sommerresidenzen verbringen, schlägt sich Maddie mit ihrer Schrottkiste als Uber-Fahrerin durch und sammelt in ihrer Freizeit One-Night-Stands wie andere Menschen Briefmarken.
Mit gutmütigen Montauk-Bewohnern wie dem Abschleppdienstleister Gary (Ebon Moss-Bachrach) vergnügt sie sich mit dem gleichen Eifer wie mit namenlosen, muskelspielenden Surf-Touris. Die Männer lässt sie allesamt nach wenigen verschwitzten Nächten fallen – Maddie hat kein Interesse an einer Beziehung.
Als Gary mit gebrochenem Herzen ihr Auto abschleppt, sieht sich die junge Frau in einer wirtschaftlichen Zwangslage: Ohne Auto kann sie nicht arbeiten und die Raten für ihr geliebtes, von der Mutter geerbtes Haus nicht zahlen. Wegzugehen aus Montauk, wo sie ohne den Vater aufwuchs, kommt aber nicht in Frage.
Weil die Sommermonate vor der Tür stehen, lässt sich Maddie auf ein Craigslist-Angebot ein: Ein gutsituiertes Elternpaar (Matthew Broderick und Laura Binanti) sucht jemanden, der gegen Bezahlung (ein Auto) ihren 19-jährigen Sohn Percy (Andrew Barth Feldman) in die Liebe einführt.
„Date him hard“
So genau wollen es die beiden Feingeister aber nicht ausdrücken, als sie Maddie in ihrem minimalistischen Wohnzimmer gegenübersitzen. „You mean date him, or DATE HIM“?, fragt Maddie darum sicherheitshalber nach. „Date him hard“, antwortet der Vater verlegen. Und Maddie verspricht: „I’m gonna date the hell out of him.“
Trotz des eher um der Gags willen behaupteten Altersunterschieds – Lawrence sieht nicht wirklich älter aus als Anfang 20, wird aber von Percys livebloggenden Insel-Peers ständig mit Ageismus konfrontiert – bahnt sich ein valider Deal zwischen den Helikopter-Eltern und der energischen Verführerin an.
Der Ausweg aus der Finanzmisere lockt – dass sie damit zur „Sex Workerin“ wird, sieht Maddie pragmatisch: „Der ist süß“, sagt sie, als die Eltern ihr ein Foto ihres Häschens zeigen. Und „Ich hab auch schon für weniger als einen Buick mit jemandem herumgemacht“, verteidigt sie sich gegenüber ihren Freund:innen. Allein die männliche Jungfrau weiß noch nichts von ihrem „Glück“.
Die Prämisse von Gene Stupnitskys Komödie „No Hard Feelings“ erinnert somit zunächst an die Kernidee von so komischen wie prüden, teils misogynen 50er-Jahre-Komödien wie „Some Like It Hot“: Wäre das nicht lustig, wenn eine Sexbombe mit vollem Körpereinsatz versucht, einen verklemmten Mann herumzukriegen, hihi?
Das vom Comedyserien-erfahrenen Autor Stupnitsky erhoffte Gekicher basiert darauf, dass ein verklemmter Mann, der die Avancen einer heteronormativ hübschen Frau ablehnt, zur Witzfigur taugt: Kein „echter“ Mann würde eine solche Chance ausschlagen. Weshalb Tony Curtis in Billy Wilders Film auch nur so tut, als sei er schüchtern.
Immer groteskere Annäherungen
Percy dagegen ist es wirklich. Und so nehmen Maddies Versuche, ihn in Minikleid und High Heels zu „daten“, immer groteskere Formen an: Unter dem Vorwand, sich einen Hund anschaffen zu wollen, sucht sie den tierlieben Percy bei seinem Nebenjob im Tierheim auf (Percy, schlotternd vor Aufregung: „Wieso möchten Sie einen Hund adoptieren?“, Maddie, mit festem Blick: „Weil ich keinen eigenen kriegen kann.“).
Sie zwingt Percy in einen Van und fährt Umwege nach Hause, bis er vor Angst sein Pfefferspray zückt. Schließlich schafft sie es, Percy davon zu überzeugen, dass sie ihn wirklich kennenlernen möchte – das erste Date steht. Und im Restaurant läuft, wie könnte es anders sein: „Maneater“.
Aber zieht man die sexuelle Konnotation ab und übersetzt „Maneater“ wortgetreu, dann heißt es „Menschenfresser“. Vor einem solchen Monster hat Percy Angst, wie er Maddie gesteht: „She’ll only come out at night / The lean and hungry type“ – wie kann man so etwas nicht fürchten?! Damit etabliert Maddies Gegenspieler eine andere, weniger klischierte Gender- und Gefühlsebene des Films: Es sind eben doch nicht alle (Hetero-)Männer permanent so sexfixiert, dass sie jegliche Angebote normativ hübscher Frauen prinzipiell annehmen.
Gleichzeitig, und das ist der noch wichtigere Punkt, den Regisseur Stupnitsky und sein Co-Drehbuchautor John Phillips erzählen, brauchen, suchen oder ersehnen mitnichten alle Frauen eine Beziehung. Man kann, für klassische Hollywoodkomödien fast eine radikale Idee, auch im Mainstream Frauenfiguren erzählen, die ihre Heldinnenreise allein bestreiten.
Klassismus und Gentrifizierung
Für „No Hard Feelings“ bedeutet das: Nachdem viel, teils viel zu alberner Slapstick passiert ist, nachdem einige amüsante Sprüche gefallen sind und „Maneater“ als dramatische Klavierversion (gespielt von Percy) noch mal den Ernst der Lage verdeutlichen durfte, wartet kein Mann auf eine geläuterte Heldin. Maddies Erkenntnisgewinn bewegt sich stattdessen auf einem anderen Gebiet.
Dass Stupnitsky sachte die Themen Klassismus und Gentrifizierung – Maddie und ihre Freund:innen können sich ihre Heimat Montauk kaum noch leisten – und die Autoversessenheit der USA mitbehandelt, steht der Geschichte ganz gut: Das Auto als Sinnbild für Selbstständigkeit, Wohlstand und Freiheit liegt Maddie mehr am Herzen als ein Mensch. Für sie gilt: Ohne umweltschädliches Fahrzeug lässt sich die Schönheit der Insel mit ihren grünen Küstenlandschaften und felsigen Stränden nicht vermitteln – ein Dilemma.
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