Interview
Sie ist das Gesicht der Fridays-for-Future-Bewegung in Deutschland. Doch Luisa Neubauer hadert auch mit dieser Rolle. Klimaschutz sei für sie keine Generationen- oder Geschlechterfrage, sondern eine der Einstellung. Wer der Bewegung Hysterie vorwerfe, der verkenne die Klimarealität.
Benedict Neff, Anja Stehle, Berlin
Frau Neubauer, Sie gelten als das Gesicht von Fridays for Future in Deutschland. Ist das eine angenehme Rolle?
Dass ausgerechnet ich dieses Aushängeschild bin, bedeutet eine unfassbare Verantwortung für mich. Einerseits hilft uns die Personalisierung manchmal, andererseits entspricht es eigentlich nicht der Natur unserer Bewegung. Ich sehe das sehr ambivalent.
Geniessen Sie Ihre Popularität?
Ich kann noch durch die Strassen laufen, ohne dass ich andauernd erkannt werde. Das ist schon mal beruhigend. Ich glaube, diese Aufmerksamkeit kann man nicht geniessen, nur hinnehmen und das Beste draus machen. Der Preis ist aber hoch. Hätte man mich vor einem Jahr gefragt: Luisa, möchtest du diese Rolle einnehmen? Dann hätte ich niemals eingewilligt. Denn das Bekanntsein birgt Gefahren, auch für meine Familie. Man zieht da viele mit rein.
Verpassen Sie auch etwas?
Na klar. Ich bin 23, es ist neun Uhr morgens.
Das heisst, die Freude über unser Gespräch hält sich in Grenzen.
Das habe ich nicht gesagt. Es ist nur eben nicht normal. Manchmal frage ich mich, was dieses sagenumwobene «twentysomething» eigentlich ist. Ich würde auch gern mehr studieren, meine Grossmutter sehen und Sachen machen wie zum Beispiel tanzen. Aber ich möchte mein Leben nicht so leidend inszenieren. Ich würde mich nicht so für die Klimabewegung einsetzen, wenn ich nicht überzeugt wäre.
Wie sind Sie überhaupt zur Klimabewegung gekommen?
Ich studiere seit viereinhalb Jahren Geografie und engagiere mich schon länger als Klimaaktivistin. Irgendwann war ich so frustriert, weil die Klimabewegung nicht schlagkräftig war und die Regierung nichts unternommen hat, dass ich nach Kattowitz zur Klimakonferenz gefahren bin, und da habe ich zufällig Greta Thunberg kennengelernt. Damals war sie noch nicht so bekannt wie heute. In Kattowitz habe ich ihr meine Hilfe angeboten. Das haben manche Leute nicht verstanden: Was willst du mit einer 15-Jährigen deine Zeit verplempern? Zeitgleich wurde Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen CDU-Chefin gewählt. Ich dachte: Das kann ja nicht wahr sein. Ich hielt die Wahl für ein Desaster.
Warum?
Die Klimapolitik wurde schlicht nicht diskutiert. Angela Merkel war bestimmt eine gute Kanzlerin, aber in Klimafragen hat sie vor allem Türen zugestossen. Mit Kramp-Karrenbauer, dachte ich, würde alles nur noch schlimmer werden. Sie hat keine ersichtlichen Klimakompetenzen. Da dachte ich: Es reicht, wir müssen irgendetwas machen. Und da habe ich zum Streik aufgerufen in Berlin, und so fing es an.
Haben Sie damals geahnt, dass Greta Thunberg noch eine viel grössere Rolle in der Klimabewegung spielen würde?
Ja. Ich dachte, sie könnte eine Instanz werden. Schon in Kattowitz zeigte sich, dass die Öffentlichkeit an ihr mehr Interesse hatte als an den meisten Umweltministern. Aber dass ich ihr geholfen habe, war mehr so ein mitmenschlicher Reflex, weil ich sah, dass sie und ihr Vater mit den vielen Medienanfragen überfordert waren. Ich hatte da auch nichts zu tun. An solchen Klimakonferenzen läuft man nutzlos durch die Gänge und denkt sich: We are fucked.
Sie waren dieses Jahr auch beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. Wie haben Sie diese Veranstaltung erlebt?
Das Weltwirtschaftsforum ist skurril. Die Dichte an relevanten Persönlichkeiten ist riesig. Gleichzeitig gibt es keine gemeinsame Agenda, im Gegensatz zur Weltklimakonferenz. Man ist da einfach gemeinsam mit diesen mächtigen Leuten und schüttelt Hände, während Journalisten darüber berichten. All das ist umso irritierender, als kaum etwas passiert. Das WEF ist letztlich grosses, symbolisches Reden.
Haben Sie dort etwas bewirkt?
Mir wurde gesagt, dass junge Menschen und die Klimafrage in Davos zuvor noch nie so präsent gewesen seien. Wenn wir klimapolitisch etwas erreichen wollen, müssen wir aus unseren Blasen raus. Es ist wichtig, dass wir auch mit Managern, Unternehmern und Politikern zusammenkommen. Sonst wird das nichts.
Die Klimabewegung nimmt man zum Teil als panisch wahr. Sie schrieben etwa, es fühle sich an, als sässen wir in einem Auto, das auf einen Abgrund zusteuere. Aber anstatt zu bremsen, gebe man Gas. Fühlen Sie diese Angst in sich, oder sind das einfach Bilder, um die Leute aufzurütteln?
Ich sitze nicht die ganze Zeit in einer Ecke und grusle mich vor der Zukunft. Aber ich würde das nicht schreiben, wenn ich es nicht punktuell so fühlen würde. Es gibt Momente, in denen ich eine wahnsinnig grosse Furcht habe vor dem, was kommt. Die Konsequenzen der Klimakrise sind so umfassend. Menschen werden nicht einfach tot umkippen, wenn der Planet 0,3 Grad wärmer wird. Aber ganz viel von dem, was wir lebenswert finden, wird beispiellos strapaziert, teilweise überstrapaziert wegen der Klimakrise: Gesundheitssystem, Wirtschaftssystem, Landwirtschaft. In verschiedenen Nuancen in verschiedenen Teilen der Welt.
Kritiker werfen Ihnen Klimahysterie vor. Ärgert Sie das?
«Klimahysterie» wurde aus guten Gründen zum Unwort des Jahres gewählt: weil es ein tief rechtsideologisches Wort ist, das ich klar zurückweise. Wir stützen uns auf die Wissenschaft und ihre Analysen. Wir kommunizieren letztlich Forschung. Wir sind keine Apokalyptikerkinder. Wer uns Hysterie vorwirft, ist feige, denn er verkennt die Klimarealität und diskreditiert zu allem Überfluss blind diejenigen, die wissenschaftlich argumentieren. Nur eines nehme ich aus diesem Vorwurf der Hysterie mit: Wir dürfen nicht nur warnen und über Bedrohungen reden. Als Bewegung sollten wir auch zeigen, was für ein Morgen wir gestalten wollen.
Sie sagten einmal, die demokratischen Prozesse liefen zu langsam, als dass die Klimaziele durchgesetzt werden könnten. Demokratie müsse neu gedacht werden. Woran denken Sie genau?
Wir stehen seit dreizehn Monaten vor demokratischen Institutionen und appellieren an die Entscheidungsträger, endlich zu handeln. Unser Protest ist eine Liebeserklärung an die Demokratie. Das Problem ist: Die Politik hält mit der Klimakrise nicht Schritt, das Tempo stimmt nicht. Die Klimakrise rast, und die Bundesregierung macht eine Stillstandpolitik. Wir brauchen eine Transformation in der Energiepolitik und in der Landwirtschaft, eigentlich in der ganzen Gesellschaft. Das kann nur funktionieren, wenn die Politik die Menschen so sehr mitreisst, dass alle partizipieren.
Sehen Sie die direkte Demokratie als eine Möglichkeit, Prozesse zu beschleunigen?
Direkte Demokratie kann toll funktionieren. Manchmal schüttelt man über euch Schweizer ein bisschen den Kopf, aber das ist schon okay. Im kleinen Rahmen geht es oft gut, im grossen nur, wenn die Umstände stimmen. Grossbritannien und der Brexit zeigen die Tücken. Werbekampagnen, Propaganda und Manipulationen können verheerende Folgen haben. Weiss man nach einer solchen Abstimmung wirklich, was das Volk möchte? Ich bin skeptisch.
Siemens-Chef Joe Kaeser hat Ihnen einen Posten bei Siemens angeboten – am Ende war nicht klar, welchen genau. Sie sagen, er habe Ihnen einen Aufsichtsratsposten angeboten. Kaeser sagt, es habe sich nur um einen Sitz in einem Aufsichtsgremium für Umweltfragen gehandelt. Was stimmt?
Wir hatten ein Gespräch zu viert. Ich dachte, wir würden über die Adani-Mine in Australien sprechen und nicht über meine beruflichen Aussichten. Nach diesem Gespräch wandte sich Kaeser von sich aus an die Medien. Ein Reporter fragte, ob er mir einen Posten in einem Umwelt- oder im Aufsichtsratsgremium anbiete. Da meinte Herr Kaeser offenbar, das könne ich mir selbst aussuchen. Ich hätte dieses Postenangebot überhaupt nicht öffentlich gemacht. Ich finde die Debatte inmitten dieser grossen Fragen von unternehmerischem Verantwortungsbewusstsein eher nichtig.
Warum ist Kaeser damit an die Öffentlichkeit?
Ich will da nicht spekulieren. Wenn man ein Angebot für einen Aufsichtsratsposten ehrlich meint, dann würde ich denken, dass man eher einen Brief schreibt, anruft oder das unter sich bespricht, bis es unter Dach und Fach ist. Ich habe ja auch vorgeschlagen, einen Vertreter von Fridays for Science im Aufsichtsrat aufzunehmen. Aber dafür hat sich Siemens nicht interessiert.
Haben Sie mit dem Gedanken gespielt, den Posten anzunehmen?
Intuitiv dachte ich: Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich habe damals mit sehr vielen Leuten gesprochen, um mich zu vergewissern. Es wäre fahrlässig, sich mit einer solchen Möglichkeit nicht gründlich auseinanderzusetzen.
Wieso haben Sie sich dagegen entschieden?
Ich sehe mich als Klimaaktivistin dem Paris-Abkommen und der Klimagerechtigkeit verpflichtet. Das kann ich nicht sein, wenn ich gleichzeitig in Abhängigkeit stehe zu einem Unternehmen wie Siemens. Ich könnte den Konzern nicht unabhängig kommentieren, was dringend notwendig ist.
Die deutschsprachigen Medien begleiten die Klimabewegung überwiegend mit Wohlwollen. Erleben Sie das auch so?
Ich lese die NZZ nicht so oft, aber ich glaube, das Wohlwollen Ihrer Zeitung hält sich in Grenzen. Insgesamt ist die Berichterstattung über uns fair. Daneben gibt es aber viel Polemik und auch Hass, vor allem in den sozialen Netzwerken. Da wird uns alles nur Denkbare vorgeworfen: Es heisst, wir seien antidemokratisch, zu jung, um uns überhaupt zu äussern, undankbar, ungeduldig, sollten uns Hobbys suchen. Manchmal auch widersprüchlich: Die gleichen Leute, die sagen, ich solle erst mal die Schule fertig machen, nach fünf Jahren Studium, können aber auch sagen: Jetzt muss sie in den Aufsichtsrat von Siemens.
Wie gehen Sie mit der Kritik um?
Ich lasse sie schon auch an mich ran, und zwar ganz bewusst. Wir müssen uns mit allen Leuten auseinandersetzen, nur so können wir unsere Klimaziele erreichen. Für Hate habe ich aber keine Zeit, wenn ich mir da irgendwelche Vergewaltigungsphantasien durchlese, ist ja niemandem geholfen.
Sie haben ja auch schon über den «alten weissen Mann» geschrieben. Wie spannen Sie ihn für die Klimabewegung ein?
In der englischen Wikipedia steht, dass ich sexistisch sei, weil ich gesagt hätte, Männer seien als Geschlecht gescheitert und die Klimakrise müsse von Frauen gelöst werden.
Haben Sie das gesagt?
Ich wüsste nicht, wo. Ich habe durchaus eine starke Meinung zu der Rolle von Männern in der Klimakrise. Mary Robinson, die ehemalige Staatspräsidentin von Irland, hat einmal gesagt: «The climate crisis is a man made crisis and needs to be solved by women.» Ich stimme dem Ersten zu, die Entscheider des vergangenen Jahrhunderts waren eben keine Frauen. Der zweite Teil, «needs to be solved by women», sollte ergänzt werden. Sonst klingt das so nach: Jetzt kommen die Frauen und räumen auf. Das ist ja Quatsch und auch diskriminierend.
Wieso?
Die Männer richten den Schaden an, und die Frauen räumen auf? Klingt nicht wirklich emanzipiert. Da sind jetzt alle gefragt, aber eben gleichberechtigt. Mir fallen übrigens viele weisse Männer ein, die viel für den Klimaschutz machen. Es ist für mich weniger eine Generationen- oder eine Geschlechterfrage als vielmehr eine Frage von Mindset. Über alte weisse Männer zerbreche ich mir nicht kategorisch den Kopf.
Sie sind Mitglied der Grünen, wen soll die Partei als Kanzlerkandidat aufstellen: Annalena Baerbock oder Robert Habeck?
Kann ich nicht sagen. Wir brauchen einen Kanzler oder eine Kanzlerin von einer Partei, die bereit ist, eine Klimapolitik umzusetzen, die es so noch nicht gab.
Sie weichen aus.
Stimmt. Das sollen die unter sich ausmachen.
Die Bewegung Fridays for Future zeigt nach einem Jahr erste Ermüdungserscheinungen. Sehen Sie das auch so?
Wir haben ein Jahr lang nahezu jeden Freitag demonstriert und eine Diskursverschiebung erreicht. Aber wir sind weit weg von dem Punkt, wo wir hinkommen müssen. Die umgesetzte Politik hat sich nicht ernst zu nehmend verändert. Das macht nachdenklich. Wir überlegen natürlich, wie wir längerfristig die Klimakrise auf der politischen Agenda verankern können. Als ich zu demonstrieren anfing, war ich sicherlich naiv. Ich dachte damals: Ich streike drei Monate, und dann wird man sich der Klimapolitik in aller Ernsthaftigkeit zuwenden. Ich hätte nicht gedacht, dass die Politik so vehement die Augen vor den Erkenntnissen von Experten verschliessen würde. Ich dachte, Politik würde rationaler verhandelt.
Wie halten Sie also den Protest am Laufen?
Fragen Sie mich in einem halben Jahr noch mal.
Macht Ihnen Demonstrieren Spass?
Ja. Ich bin ein lebensfroher Mensch. Ich nähme diese Belastung nicht weiterhin auf mich, wenn es mir nicht gefiele. Demonstrieren ist für mich und andere auch mit viel Stress und logistischem Aufwand verbunden, aber es hat etwas Magisches, mit so vielen Menschen zusammen eine politische Öffentlichkeit sichtbar zu machen und ihr eine Stimme zu geben.
Ihre Öffentlichkeitsarbeit ist unerschrocken. Man hat das Gefühl, Sie suchen mit allen Medien das Gespräch.
Mir ist es lieber, wenn mich Journalisten persönlich kennenlernen als wenn über mich Projektionen in die Welt gesetzt und dann nur reproduziert werden. Ich glaube, viele, die an mich denken, denken an Greta Thunberg und ihr «how dare you», an kleine Kinder, die schreiend durch die Welt rennen und sagen, Kapitalismus sei scheisse und alte weisse Männer seien scheisse und Demokratie sei scheisse. Die Welt sieht aber anders aus.
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René Höltschi, Berlin