Wer in einer Großstadt wie Hamburg eine Adresse sucht, guckt auf Google Maps oder fragt jemanden, der sich auskennt. Doch Danijela, 40, muss nirgends nachsehen und niemanden fragen, wie sie am schnellsten von A nach B kommt. Sie weiß genau, wo sich Umleitungen, Einbahnstraßen und Baustellen befinden. »Ich brauche kein Navigationssystem. Ich bin selbst eines«, sagt sie und lacht.
Danijela Stojkovic ist eine von rund 5000 Busfahrerinnen und Busfahrern in und um Hamburg. Tag und Nacht fährt sie quer durch die Stadt und bringt Menschen näher an ihr Ziel. Heute ist Danijela seit etwa vier Stunden unterwegs. Als ihre Schicht um 5.50 Uhr begann, war es draußen noch dunkel. »Die Frühschicht mag ich am liebsten. Je nachdem, welche Linie ich fahre, habe ich die Chance, einen Sonnenaufgang zu sehen«, sagt Danijela. Doch auch nachts auf den Straßen unterwegs zu sein, mache Spaß. »In der Nachtschicht fühlt es sich an, als hätte man die ganze Stadt für sich allein.«
Heute fährt Danijela die Buslinie 130, an der Elbe entlang. Die meisten Routen hat sie im Kopf. Bevor sie eine neue Strecke fährt, prägt sie sich den Weg genau ein. »Manche von uns benutzen zur Sicherheit ein Navi, bis sie die Route auswendig kennen«, sagt Danijela. Auszubildende fahren erst bei erfahrenen Busfahrern mit, damit sie sich die Wege besser merken können. »Streckenkunde« heißt das. Besonders anspruchsvoll sind die Routen, die mitten durch die Innenstadt führen. Dort herrscht viel Verkehr: Der Bus teilt sich die Straße mit anderen Autos, Fahrrädern und Fußgängern.
Ein Bus ist nicht nur breiter und länger als ein Auto, er wiegt auch einige Tonnen mehr. Deshalb dauern Vollbremsungen länger, in Kurven muss man anders lenken. »Daran gewöhnt man sich. In sieben Jahren habe ich keinen einzigen Spiegel abgefahren«, sagt Danijela. Fahrzeuge fand sie schon immer super. »Als Kind bin ich auf dem Schoß meines Papas mit im Lkw gefahren, und mit meinen Brüdern habe ich Auto-Quartett gespielt«, erzählt sie.
Mit dem vielen Sitzen hat Danijela kein Problem. Der Fahrersitz ist besonders gut gepolstert, damit die Fahrerinnen und Fahrer keine Rückenschmerzen bekommen. Zwischen den Schichten liegen außerdem kurze Pausen. »Meine längste Schicht ging knapp zehn Stunden. Danach war ich platt. Aber eigentlich finde ich es entspannend, am Steuer zu sitzen. Ich werde beim Fahren zum Glück nie müde«, sagt sie.
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Auf dem Bildschirm, der seitlich neben dem Fahrersitz befestigt ist, blinkt eine rote Zahl. »+5.30« steht auf der Anzeige. Das bedeutet, dass der Bus fünfeinhalb Minuten Verspätung hat. Diese Zahl wird automatisch an das System des Verkehrsbetriebs weitergegeben, also an das Unternehmen, für das die Busse in Hamburg fahren. Wer an einer Bushaltestelle wartet oder den Fahrplan im Internet nachguckt, erfährt so, dass er länger warten muss. In den Stoßzeiten, wenn beispielsweise viele Menschen gleichzeitig zur Arbeit fahren, kommt es oft zu Staus und Verspätungen. Danijela bleibt in solchen Momenten gelassen: »In diesem Job braucht man Geduld. Sich aufzuregen bringt nichts.«
Was ist das Schönste an dem Beruf?
»Ich entdecke täglich etwas Neues auf der Strecke und treffe unterschiedliche Menschen. Außerdem ist mein Sitz fast so bequem wie ein Kinosessel.«
Und was ist das Schlimmste?
»Wenn ich ewig im Stau stehe und die Leute sich beschweren, weil sie zu spät kommen.«
Wie viele Busfahrerinnen und Busfahrer gibt es in Deutschland?
Ungefähr 100.000.
Wie lange dauert die Ausbildung?
Etwa drei bis fünf Monate, je nach Verkehrsbetrieb. Bewerberinnen und Bewerber müssen über 21 Jahre alt sein und seit zwei Jahren einen Autoführerschein besitzen. Wer jünger ist, kann eine dreijährige Ausbildung zur Fachkraft im Fahrbetrieb machen.
Wie viel verdient man?
Das ist in jeder Stadt unterschiedlich. In Hamburg gibt es während der Ausbildung rund 2.900 Euro pro Monat, danach etwa 3.100 Euro. Wer am Wochenende oder an Feiertagen arbeitet, verdient mehr.
Was muss man können?
Sich auf vieles gleichzeitig konzentrieren
Mit Stress umgehen
Geduldig sein
Für wen ist das eher nichts?
Für Menschen, die im Straßenverkehr schnell ausflippen. Und für alle, die gern an der frischen Luft arbeiten.
Die Fahrerin ist daran gewöhnt, vieles gleichzeitig zu tun. Während sie den Bus durch die Straßen manövriert, grüßt sie immer wieder vorbeifahrende Busfahrer. Nebenbei unterhält sie sich mit den Fahrgästen, die vorne stehen. »Viele erzählen mir direkt von ihren Alltagsproblemen. Dass im Supermarkt alles teurer wird, oder wie der letzte Arzttermin war. Manchmal frage ich mich, ob ich Busfahrerin bin oder Therapeutin«, sagt Danijela und lächelt. Streng wird sie nur, wenn Schulkinder mitfahren. »Bei mir wird nicht herumgehampelt und durch den Bus gerannt. Sicherheit geht vor.«
Das Funkgerät, das über dem Fahrersitz befestigt ist, knackt. Ein Kollege informiert Danijela über eine Vollsperrung auf der Autobahnzufahrt. Per Funk sind alle Busfahrerinnen und -fahrer miteinander verbunden und können einander mitteilen, wenn es auf den Strecken Unfälle oder Umleitungen gibt. »Wir helfen uns gegenseitig. So wissen alle Bescheid und können die Stelle umfahren. Aber das Funkgerät ist nur für wichtige Infos da und nicht, um sich zu unterhalten oder Witze zu erzählen«, sagt Danijela.
Busfahrer sitzen den ganzen Tag und langweilen sich zu Tode
STIMMT NICHT: »Ich starre schließlich nicht auf einen Computer-Bildschirm, sondern fahre mitten durch die Stadt.«
Busfahrer sind meistens männlich
STIMMT TEILWEISE: »Frauen sind noch in der Unterzahl, aber es werden mehr.«
Busfahrer müssen sich dauernd von Fahrgästen anmeckern lassen
STIMMT TEILWEISE: »Manchmal passiert das. Aber es ist wie in jedem Job: Wenn man nett zu Menschen ist, sind sie es oft auch.«
Busfahrer sind immer grimmig und schlecht gelaunt
STIMMT NICHT: »Ich werde dauernd gefragt: ›Wieso lachst du so viel?‹«
Vor dem nächsten Halt ertönt die Durchsage einer Computerstimme: »Diese Fahrt endet hier.« Alle steigen aus – bis auf Danijela. Ab hier wird sie eine andere Linie fahren. Dafür muss sie nicht den Bus wechseln, sondern nur einen Knopf drücken: Die Zahl auf der Anzeige springt um, aus 130 wird 119. Die Busfahrpläne sind so getaktet, dass alle Fahrerinnen und Fahrer auf vier bis fünf Linien pro Tag unterwegs sind.
10.15 Uhr, Schichtende. Danijela steuert den Bus auf das Betriebsgelände. Hier hat ihr Arbeitstag vor einigen Stunden begonnen. Hinten auf dem Gelände parken alle Busse, die gerade nicht im Einsatz sind. Zwischen ihnen hängen lange Kabel, an denen sich die Batterien der Elektrobusse aufladen lassen. Auch Danijela war heute mit einem Elektrobus unterwegs. Bevor sie aussteigt, läuft sie durch die Reihen und kontrolliert, ob niemand etwas vergessen hat. »Ich hoffe jedes Mal, dass ich nichts Wichtiges finde, zum Beispiel einen Schlüssel oder ein Handy. Oder das Kuscheltier eines Kindes«, sagt Danijela. Dann zieht sie eine Liste hervor und notiert Einzelheiten zu ihrer Schicht: ihre Dienstnummer, die Uhrzeit und den Kilometerstand. So lässt sich genau nachlesen, wer welchen Bus gefahren hat. Darunter noch eine Unterschrift – fertig. Danijela schließt den Bus ab, steckt das Ladekabel an, wirft den Schlüssel in die Luft und fängt ihn wieder auf. »Für mich ist jetzt Feierabend, aber der Bus macht nur kurz Mittagspause.«
Dieser Artikel erschien in »Dein SPIEGEL« 06/2024.
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